Ausbruch von COVID-19 durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Pandemie eingestuft.

In der Risikobewertung des ECDC vom 12. März 2020 flossen insbesondere Daten und Erfahrungen aus anderen betroffenen Ländern ein. In China wurden damals in 80 % der Fälle milde bis moderate Verläufe registriert. In fast 14 % der Fälle kam es zu schweren Verläufen und 6 % aller Fälle mündeten in einem kritischen Zustand. Die Fallsterblichkeit lag für China bei 2,3 % und für Italien bei 2,8 %. Die höchste Fallsterblichkeit trat bei älteren Personen insbesondere in der Altersgruppe von über 80 Jahren auf. Besonders bei Personen mit Vorerkrankungen (Bluthochduck, Diabetes, Krebs etc.) wurden schwere Verläufe beobachtet. Kinder waren genauso gefährdet wie Erwachsene, sich anzustecken. Bei diesen wurden überwiegend milde Verläufe beobachtet. Das Risiko einer schweren Erkrankung im Zusammenhang mit einer COVID-19-Infektion für Menschen in der EU/im EWR und im Vereinigten Königreich wurde von dem ECDC für die allgemeine Bevölkerung als moderat und für ältere Erwachsene und Personen mit chronischen Grunderkrankungen als hoch angesehen. Darüber hinaus wurde das Risiko einer Überlastung der nationalen Gesundheitssysteme und das, mit der Übertragung von COVID-19 verbundene Risiko in Gesundheits- und Sozialeinrichtungen mit großen gefährdeten Bevölkerungsgruppen als hoch eingestuft.

Das Robert Koch-Institut (Berlin) nimmt – ausgehend von mehreren verschiedenen Studien – bei einer ungehinderten Verbreitung von SARS-CoV-2 eine Basisreproduktionszahl von zwischen 2,4 und 3,3 an. Das bedeutet, dass von einem Fall durchschnittlich 2,4 bis 3,3 Zweitinfektionen ausgehen. Das bedeutet aber auch, dass bei einer Basisreproduktionszahl von ca. 3 ungefähr zwei Drittel aller Übertragungen verhindert werden müssen, um die Epidemie unter Kontrolle zu bringen.

Angesichts dieser Datenlage und der Risikoabschätzung der damaligen epidemiologischen Situation und Risikobewertung sowie der erwarteten Entwicklungen wurden durch das ECDC sowie die Experten im Beraterstab der Taskforce Corona beim Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz insbesondere Maßnahmen im Bereich des ‘social distancing’ (Minimierung körperlicher Kontakte, zeitlich später auch als ‘physical distacing’ bezeichnet; z.B. durch Absagen von Veranstaltungen, Schließen von Schulen, Einstellen von nicht notwendigen zwischenmenschlichen Kontakten und von Reisetätigkeiten) als erforderlich angesehen, um das exponentielle Fortschreiten der Pandemie einzubremsen und die reale Gefahr einer Überlastung des österreichischen Gesundheitssystems aufgrund der großen Anzahl der Erkrankten einerseits und der Infizierung des medizinischen und die krankenpflegerischen Personals zu verhindern.

Um der schnellen Ausbreitung der Erkrankung effektiv entgegenzuwirken, war daher die Verbreitung des Virus durch eine deutliche Reduzierung der Anzahl der zwischenmenschlichen Kontakte und die Einhaltung eines Abstandes von mindestens einem Meter bei nicht vermeidbaren Kontakten einzubremsen,
wobei dies aufgrund der bestehenden Ausbreitung von SARS-CoV-2 rasch, gleichzeitig und in ganz Österreich geschehen musste. Die Wirksamkeit von ‘social distancing’ ist nämlich am größten, wenn gleich zu Beginn der Pandemie eine deutliche Verminderung der Kontakte erfolgt.

[…] Aufgrund dieser Gefährdungsprognose war es geboten, entsprechende flächendeckende Maßnahmen zu treffen. Eine dramatische Reduktion der Sozialkontakte war das einzig taugliche Mittel zur Verhinderung der Ausbreitung von COVID-19 im Sinne des § 1 COVID-19-Maßnahmengesetz. Die vom Antragsteller genannten gelinderen Mittel (wie Schutz der gefährdeten Personen, alter, kranker und immunschwacher Menschen) wären zur Erreichung des Ziels nicht geeignet gewesen: Die lange Inkubationszeit, der oft unbemerkte Verlauf bei unverminderter Überträgereigenschaft, die große Risikogruppe, schwere Verläufe auch bei vermeintlich Nicht-Risikogruppen, die exponentielle Verbreitung und die leichte Übertragbarkeit schlossen zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung partielle Maßnahmen aus. Da COVID-19 nicht mehr auf einzelne Regionen beschränkt war, waren österreichweite Maßnahmen erforderlich. Nur eine drastische Reduktion der sozialen Kontakte in Form der erlassenen Betretungsverbote konnten im Zeitpunkt der Verordnungserlassung eine unkontrollierte Ausbreitung mit einer damit einhergehenden Überlastung des Gesundheitssystems verhindern […].

[…] Vor diesem Hintergrund normierte die Verordnung BGBl. II Nr. 96/2020 weitreichende Betretungsverbote für Betriebsstätten von Waren- und Dienstleistungsunternehmen auf der Grundlage des § 1 COVID-19-Maßnahmengesetz. Gemäß § 2 Abs. 1 der Verordnung BGBl. II Nr. 96/2020 waren vom allgemeinen Betretungsverbot Bereiche ausgenommen, die der Aufrechterhaltung der Grundversorgung dienen. § 3 der Verordnung BGBl. II Nr. 96/2020 untersagte das Betreten von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe, wobei § 3 Abs. 2 bis Abs. 5 (mit BGBl. II Nr. 130/2020 auch Abs. 6) Ausnahmen vorsah.

[…] Die gewählte Regelungstechnik eines zeitlich befristeten, umfassenden Verbots mit Ausnahmen gewährleistete dabei unter dem Blickwinkel der Verhältnismäßigkeit (vgl. § 1 COVID-19-Maßnahmengesetz: ‘soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist’) eine kontinuierliche Überprüfung der Erforderlichkeit der Maßnahmen unter Berücksichtigung der epidemiologischen Entwicklungen und etwaiger neuer Erkenntnisse über die Krankheit: So wurde die Verordnung BGBl. II Nr. 96/2020 zunächst mit einer Woche befristet (§ 4 Abs. 3), mit der Verordnung BGBl. II Nr. 110/2020 wurde die Geltungsdauer unter Berücksichtigung des weiteren Infektionsanstiegs bis 13. April 2020 verlängert. Mit BGBl. II Nr. 151/2020 wurde die Befristung bis 30. April 2020 verlängert, wobei erste Lockerungen der Betretungsverbote (im Sinne weiterer Ausnahmen) mit 14. April 2020 erfolgten. Die jeweiligen Maßnahmen erfolgten unter ständiger Beobachtung der epidemiologischen Situation und ermöglichten eine stets angemessene, schrittweise Reaktion auf die tatsächlichen Verhältnisse. So konnte eine stete Abwägung der Gefahren für Leben und Gesundheit mit den entgegenstehenden Grundrechtspositionen vorgenommen
werden, entsprechende Einschränkungen konnten auf das unbedingt erforderliche Maß reduziert werden.

[…] Nach Ansicht des BMSGPK steht die Erforderlichkeit der Erlassung der Verordnung außer Frage.”

  • Zur Erforderlichkeit der Erlassung der COVID-19-Maßnahmenverordnung- 98 iSd § 2 COVID-19-Maßnahmengesetz nahm der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz im Verfahren zur Zahl V 393/2020 im Wesentlichen – unter entsprechender Bezugnahme auf die COVID-19-Maß- nahmenverordnung-98 und § 2 COVID-19-Maßnahmengesetz – inhaltsgleich Stellung. Auch diese Äußerung wurde zum Inhalt der Äußerung des vorliegenden Verfahrens erhoben und dieser beigelegt.
  • Zur COVID-19-Lockerungsverordnung (BGBl. II 197/2020) und zur Verordnung BGBl. II 207/2020 bringt der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz in den zu den Zahlen V 429/2020 und V 434/2020 erstatteten Äußerungen, die ebenfalls zum Inhalt der Äußerung des vorliegenden Verfahrens erhoben und dieser beigelegt wurden, zusammengefasst im Wesentlichen inhaltsgleich vor, dass die COVID-19-Lockerungsverordnung und ihre Novelle BGBl. II 207/2020, ebenso wie sämtliche “Lockerungen” der COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 unter Berücksichtigung der “epidemiologischen Situation und Risikobewertung” vorgenommen worden seien. Zu rasche “Lockerungen” der Maßnahmen seien “zu diesem Zeitpunkt weiterhin als zu früh” eingestuft worden. Im Zeitpunkt der Verordnungserlassung sei die Risikobewertung des ECDC vom 23. April 2020 aufrecht gewesen. Darin sei festgehalten worden, dass “die strengen Maßnahmen wie physical distancing und Ausgangssperren gravierende gesellschaftliche Auswirkungen (ökonomisch und sozial) mit sich bringen, weshalb ein vernünftiger Zugang wichtig sei, die Maßnahmen zu lockern”. Ein “zu schnelles Aufheben der Maßnahmen ohne ein angemessenes Monitoring- und Gesundheitssystem” könne jedoch eine anhaltende Übertragung begünstigen. ECDC habe in dieser Risikobewertung darauf hingewiesen, dass “die Auswirkungen von Veränderungen der Maßnahmen frühestens nach zwei bis vier Wochen im epidemiologischen Monitoring sichtbar werden”. Vor diesem Hintergrund sei schrittweise vorzugehen und die jeweiligen Auswirkungen der getroffenen “Lockerungen” im epidemiologischen Monitoring genau zu beobachten gewesen.

Mit dem empfohlenen Vorgehen in zweiwöchigen Schritten “sei einerseits dem wichtigen öffentlichen Interesse des Gesundheitsschutzes Rechnung getragen und andererseits ein gerechter Ausgleich mit den entgegenstehenden Grundrechten” geschaffen worden.

  • In Bezug auf die Erforderlichkeit des Mund-Nasenschutzes führt der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz in seiner Äußerung im Verfahren zur Zahl V 405/2020, die zum Inhalt der Äußerung des vorliegenden Verfahrens erhoben und dieser beigelegt wurde, u.a. in Bezug auf § 2 Abs. 5 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 idF BGBl. II 151/2020, aus, dass zum Zeitpunkt der Erlassung der Verordnung BGBl. II 151/2020 “eine klare wissenschaftliche Evidenz im Hinblick auf die Effektivität dieser Maßnahme (insbesondere im Sinne eines Fremdschutzes) als einer von mehreren Bausteinen des Infektionsschutzes” vorgelegen habe (Hinweis auf Empfehlungen des RobertKoch-Instituts) und Studien “die Gefahr eines zweiten unkontrollierten Infektionsanstiegs bei schrittweiser Rücknahme der Betretungsverbote ohne diese Maßnahme” untermauern würden (Hinweis auf die herangezogenen Studien). Im Zuge der erforderlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung sei “die Maßnahme des verpflichtenden Mund-Nasenschutzes auch in direkter Relation zur schrittweisen Rücknahme der Beschränkungen zu sehen: In dem Maß, in dem soziale Kontakte erhöht werden können, [müsse] durch andere Maßnahmen sichergestellt sein, dass das Ziel der Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 nicht unterlaufen [werde]”. Die Maßnahme stelle sich “als geeignetes Mittel zur Zielerreichung dar (insbesondere werde die Verbreitung von COVID-19 auf Seiten potenzieller ‘Ausscheider’ vermindert) und [sei] verhältnismäßig: Das Gewicht des damit verfolgten Gesundheitsschutzes [sei] ungleich höher als der damit bewirkte Eingriff insbesondere in Art. 8 EMRK”. Im Vergleich mit den sonstigen Alternativen der Kontaktreduktion stelle sich eine Verpflichtung zum Tragen von MundNasenschutz als gelindestes Mittel dar.
  • In der im vorliegenden Verfahren erstatteten Äußerung bringt der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz in Bezug auf die Verpflichtung zum Tragen eines Mund-Nasenschutzes zudem Folgendes vor (ohne Hervorhebungen im Original):
    “[…] Der Antragsteller sieht sich darüber hinaus durch die Verpflichtung zum Tragen eines Mund-Nasenschutzes in § 2 Abs. 5 der Verordnung BGBl. II Nr. 96/2020 im Grundrecht auf Menschenwürde gemäß Art. 1 GRC und Art. 3 EMRK verletzt.

[…] Wie der Antragsteller selbst zutreffend erkennt, kommt im vorliegenden Fall Art. 1 GRC nicht zur Anwendung: Weder dient die auf der Grundlage des § 1 COVID-19-Maßnahmengesetz erlassene Verordnung BGBl. II Nr. 96/2020 der Durchführung des Unionsrechts im Sinne des Art. 51 GRC, noch liegt sonst ein Sachverhalt mit Unionsrechtsbezug vor.

[…] Im österreichischen Grundrechtekatalog findet die Menschenwürde keine ausdrückliche und umfassende Verbürgung. Vielmehr sind verschiedene Aspekte der Menschenwürde im Ergebnis durch andere verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte geschützt (vgl. statt vieler Berka/Binder/Kneihs, Grundrechte2 [2020] 291). Soweit sich der Antragsteller auf Art. 3 EMRK beruft, ist ihm zu entgegnen, dass die Verpflichtung zum Tragen eines MundNasenschutzes nach Ansicht des BMSGPK nicht das für eine Qualifikation als erniedrigende Behandlung erforderliche Gewicht erreicht:

Auch wenn das Tragen des Mund-Nasenschutzes beim Antragsteller subjektiv seelisches Unbehagen, Pein und Minderwertigkeitsgefühle auslösen mag, fehlt es der im Rahmen des seuchenrechtlichen Auftrags der Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 normierten, zeitlich befristeten Verpflichtung zum Tragen eines Mund-Nasenschutzes am Element der Demütigung (vgl. dazu Grabenwarter/Pabel, EMRK6 [2016] Rz 48). In der aus epidemiologischen Gründen notwendigen Verpflichtung zum Tragen eines Mund-Nasenschutzes kommt weder eine im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs die Menschenwürde beeinträchtigende gröbliche Missachtung des Betroffenen zum Ausdruck (statt vieler VfSlg. 8146/1977), noch ist sie mit den der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK zugrundeliegenden Fällen vergleichbar (dazu nur Grabenwarter/Pabel, EMRK6 Rz 48 ff). Die behauptete Grundrechtsverletzung liegt daher nicht vor.”

  • In der Äußerung zu V 434/2020, die ebenfalls zum Inhalt der Äußerung des vorliegenden Verfahrens erhoben und dieser beigelegt wurde, geht der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz u.a. auf Abstandsregeln und den verpflichtenden Mund-Nasenschutz in bestimmten Situationen ein und führt aus, dass diese “in Relation zur Erhöhung der Mobilität im öffentlichen Raum” stünden, die mit der Verordnung BGBl. II 197/2020 und der Novelle BGBl. II 207/2020 einhergegangen sei. Die Verdichtung sozialer Kontakte habe iSd gebotenen schrittweisen Vorgehens zumindest “die Beibehaltung der (im Vergleich zu den zurückgenommenen Beschränkungen)

wesentlich weniger eingreifenden Schutzmaßnahmen der Abstands- und MundNasenschutzpflicht” erfordert. Hinsichtlich der Geeignetheit dieser Maßnahmen für die Erreichung des Ziels der Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 verweist der Bundesminister auf die umfangreiche Datenlage und die der Äußerung beigelegten Studien. Er bringt weiters vor, dass es “[n]ach Maßgabe des gebotenen schrittweisen Vorgehens […] im Zeitpunkt der Erlassung der Verordnung BGBl. II Nr. 207/2020 keine gelinderen Mittel zur Zielerreichung” gegeben habe und zu beachten sei, dass die “Abstandspflicht und die Verpflichtung zum Tragen eines Mund-Nasenschutzes mehrere ineinandergreifende Komponenten des Gesundheitsschutzes [seien], die in ihrer Gesamtheit zu betrachten [seien]”. In der Äußerung heißt es weiters wie folgt:

“[…] Abgesehen von der zeitlichen Befristung ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zudem zu beachten, dass die Verordnung BGBl. II Nr. 197/2020 in der Fassung BGBl. II Nr. 207/2020 unter bestimmten Voraussetzungen ein Abweichen von den Verpflichtungen zum Abstandhalten und zum Tragen eines Mund-Nasenschutzes erlaubt (vgl. § 2 Abs. 1 Z 3, § 2 Abs. 2, § 3 Abs. 3, § 5 Abs. 3).”

  1. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie u.a. der Zulässigkeit der Anfechtung des COVID-19-Maßnahmengesetzes wie folgt entgegentritt (ohne Hervorhebungen im Original):

“[…] Allgemeines:

Die Bedenken des Antragstellers entsprechen zum Teil jenen, die die Antragsteller in den Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof G 180/2020, G 195/2020 und G 259/2020 vorbringen. Die Bundesregierung erhebt daher ihre Äußerungen, die sie in den Verfahren G 180/2020, G 195/2020 erstattet hat und im Verfahren G 259/2020 erstattet, – sowohl hinsichtlich der Zulässigkeit als auch der Ausführungen in der Sache – zur Gänze als Beilagen zum Inhalt ihrer Äußerung im gegenständlichen Verfahren. Ergänzend wird Folgendes vorgebracht:

[…] Zur Zulässigkeit:

[…] Gemäß § 15 Abs. 2 VfGG hat ein an den Verfassungsgerichtshof gerichteter Antrag die Bezugnahme auf jenen Artikel des B-VG, auf Grund dessen der Verfassungsgerichtshof angerufen wird, zu enthalten. Das Fehlen dieses Erfordernisses stellt keinen verbesserungsfähigen Formmangel, sondern einen inhaltlichen Fehler dar (vgl. VfSlg. 16.092/2001; VfGH 11.12.2013, G 63/2013 jeweils mwN).

[…] Der Antragsteller stützt seinen Antrag auf Art. 139 B-VG, der nicht Grundlage für die Anfechtung von Gesetzen, sondern von Verordnungen ist. Der Antragsteller führt lediglich an einer Stelle aus, dass eine gesetzliche Verordnungsermächtigung ‘grundsätzlich nicht nach Art 140 Abs. 1 Z. 1 lit. c) B-VG angefochten werden kann’, nimmt jedoch in der Folge an keiner Stelle seines Antrages dergestalt auf Art. 140 B-VG Bezug, sodass der gegenständliche Antrag auch als Gesetzesprüfungsantrag angesehen werden könnte.

[…] Nach Auffassung der Bundesregierung erweist sich daher der Antrag auch aus diesem Grund zur Gänze als unzulässig.

[…] Des Weiteren begehrt der Antragsteller mit seinem Antrag die Aufhebung des gesamten COVID-19-Maßnahmengesetzes; seine verfassungsrechtlichen Bedenken richten sich jedoch ausschließlich – ausdrücklich – gegen die Verordnungsermächtigungen der §§ 1 und 2 des COVID-19-Maßnahmengesetzes und – der Sache nach – gegen § 4 Abs. 2 des COVID-19-Maßnahmengesetzes.

[. ] Der Antragsteller bringt keine Bedenken gegen die übrigen Bestimmungen des COVID-19-Maßnahmengesetzes vor und legt auch nicht dar, dass diese mit §§ 1 und 2 des COVID-19-Maßnahmengesetzes in untrennbarem Zusammenhang stünden. Ein solcher untrennbaren Zusammenhang (nämlich jedenfalls in Bezug auf die §§ 2a und 3 – soweit er sich nicht auf § 1 bezieht -, § 4 Abs. 1, 1a, 3, 4 und 5 sowie § 5 des COVID-19-Maßnahmengesetzes) ist nach Auffassung der Bundesregierung auch nicht gegeben.

[…] Die Bundesregierung vertritt daher die Ansicht, dass der Antrag auch aus diesem Grund unzulässig ist.

[…] Des Weiteren bringt der Antragsteller vor, dass die Beschränkung des Kindergartenbesuchs seiner Tochter bei dieser psychische Beeinträchtigungen verursacht hätte. Darüber hinaus seien durch den eingestellten Flugverkehr und geschlossene Grenzen seine Urlaubs- und Freizeitgestaltung frustriert bzw. eingeschränkt worden. Überdies sei auch durch die Absage zahlreicher Gerichtsverhandlungen seine berufliche Tätigkeit als Rechtsanwalt beeinträchtigt worden.

[…] Diese Einschränkungen, die der Antragsteller als verfassungswidrig erachtet, werden jedoch durch keine der angefochtenen Bestimmungen angeordnet:

[…] Der Kindergartenbetrieb war nicht Gegenstand des COVID-19-Maß- nahmengesetzes (bzw. der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen), sondern der jeweiligen Verordnungen der Bezirksverwaltungsbehörde, die diese auf der Grundlage des § 18 des Epidemiegesetzes 1950 erlassen hat (welcher vom Antragsteller jedoch nicht angefochten wurde).

[…] Das COVID-19-Maßnahmengesetz ermächtigt auch nicht, die Ein- und Ausreise in das bzw. aus dem Bundesgebiet zu regeln. Regelungsgegenstand des § 1
des COVID-19-Maßnahmengesetzes ist das Betreten von Betriebsstätten oder nur bestimmten Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen oder Arbeitsorten im Sinne des § 2 Abs. 3 des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes. § 2 des COVID-19-Maßnahmengesetzes ermächtigt zwar zur Erlassung von Betretungsverboten hinsichtlich ‘bestimmter Orte’. Dass es sich dabei nur um bestimmte Orte im Bundesgebiet, nicht aber auch im Ausland, handelt, ergibt sich schon aus dem Fehlen einer ausdrücklichen Anordnung, die auf Grund des Art. 49 Abs. 1 B-VG jedoch erforderlich wäre.

[…] Wie schließlich der Antragsteller selbst zutreffend ausführt, waren Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Rechtspflege stets von den Betretungsverboten des § 1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes iVm. der Verordnung BGBl. II Nr. 96/2020 ausgenommen (vgl. § 2 Abs. 1 Z 15 dieser Verordnung). Auch die ‘Abbe- raumung’ von Gerichtsverhandlungen ist nicht auf die auf Grund der §§ 1 und 2 des COVID-19-Maßnahmengesetzes erlassenen Verordnungen zurückzuführen, sondern auf die Anordnungen des Bundesgesetzes betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz, BGBl. I Nr. 16/2020.

[…] Nach Auffassung der Bundesregierung ist daher der Antrag in Bezug auf diese Bedenken unzulässig.

[…] Mit seinem ‘Eventualantrag’ begehrt der Antragsteller überdies, der Verfassungsgerichtshof möge ein amtswegiges Gesetzesprüfungsverfahren gemäß Art. 140 Abs. 1 Z 1 lit. b B-VG einleiten. Hierzu genügt es darauf hinzuweisen, dass ein solches amtswegiges Verfahren nach Art. 140 Abs. 1 Z 1 lit. b B-VG voraussetzungsgemäß nicht auf Antrag eingeleitet werden kann. Der ‘Eventualantrag’ ist daher ebenso unzulässig.”

  1. Erwägungen
  2. Zur Zulässigkeit des Antrages
    • Gemäß Art. 139 Abs. 1 Z 3 und Art. 140 Abs. 1 Z 1 lit. c B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen und die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit bzw. Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn das Gesetz bzw. die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg. 8009/1977 und 8058/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, dass das Gesetz bzw. die Verordnung in die Rechtssphäre der betroffenen Person

unmittelbar eingreift und sie – im Falle seiner Verfassungswidrigkeit bzw. ihrer Gesetzwidrigkeit – verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art. 139 Abs. 1 Z 3 und Art. 140 Abs. 1 Z 1 lit c B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl. zB VfSlg. 10.353/1985, 15.306/1998, 16.890/2003).

  • Zu den Verordnungen BGBl. II 96/2020 und BGBl. II 98/2020
    • Mit seinem zweiten und dritten Antrag wendet sich der Antragsteller gegen die COVID-19-Maßnahmenverordnung-96, BGBl. II 96/2020, und gegen die COVID-19-Maßnahmenverordnung-98, BGBl. II 98/2020, jeweils in der Stammfassung und begehrt die Feststellung, dass diese Verordnungen jeweils “ihrem gesamten Inhalt nach verfassungswidrig” waren.
    • Nach § 57 Abs. 1 VfGG muss der Antrag, eine Verordnung als gesetzwidrig

aufzuheben, begehren, dass entweder die Verordnung ihrem ganzen Inhalte nach oder dass bestimmte Stellen der Verordnung als gesetzwidrig aufgehoben werden. Ein Antrag, der sich gegen den ganzen Inhalt einer Verordnung richtet, muss die Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit aller Bestimmungen der Verordnung “im Einzelnen” darlegen und dartun, inwieweit alle angefochtenen Verordnungsregelungen unmittelbar und aktuell in die Rechtssphäre des Antragstellers eingreifen. Bei der Prüfung der aktuellen Betroffenheit hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu untersuchen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art. 139 Abs. 1 Z 3 B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl. zB VfSlg. 10.353/1985,                                                                                                               14.277/1995,

15.306/1998, 16.890/2003, 18.357/2008, 19.919/2014, 19.971/2015). Anträge, die dem Erfordernis des § 57 Abs. 1 VfGG nicht entsprechen, sind nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (vgl. VfSlg. 14.320/1995, 14.526/1996, 15.977/2000, 18.235/2007) nicht im Sinne von § 18 VfGG verbesserungsfähig, sondern als unzulässig zurückzuweisen (vgl. etwa VfSlg. 12.797/1991,                            13.717/1994,        17.111/2004,                            18.187/2007,     19.505/2011,

19.721/2012).

  • Die beiden angefochtenen Verordnungen enthielten jeweils unterschiedliche, voneinander trennbare Verbotstatbestände. Der Antragsteller hat in seinem Antrag nicht konkret dargetan, inwiefern er von sämtlichen Tatbeständen der angefochtenen Verordnungen unmittelbar und aktuell betroffen war, so etwa auch, inwiefern er im Geltungszeitraum konkret beabsichtigt hat, einen Gastgewerbebetrieb (vgl. § 3 der angefochtenen COVID- 19-Maßnahmenverordnung-96) zu betreten oder ein – verkehrendes – Massenbeförderungsmittel (vgl. § 3 der angefochtenen COVID-19- Maßnahmenverordnung-98) zu benutzen (vgl. etwa VfSlg. 13.239/1992, 15.144/1998, 15.224/1998; VfGH 5.3.2014, V 8/2014). Das Erfordernis solcher Darlegungen durch den Antragsteller besteht auch dann, wenn bestimmte Annahmen im Hinblick auf die sonst geschilderte Situation naheliegen mögen (vgl. VfSlg. 14.309/1995, 14.817/1997, 19.613/2011).
  • Da es sich bei diesem Mangel um kein behebbares Formgebrechen, sondern ein Prozesshindernis handelt (vgl. § 18 VfGG und die oben zitierte Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes), sind der zweite und der dritte Antrag auf Aufhebung der COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 und der COVID-19-Maßnahmenverordnung-98 jeweils zur Gänze – schon aus diesem Grund – als unzulässig zurückzuweisen.

1.3. Zu den Verordnungen BGBl. II 207/2020 und BGBl. II 231/2020

  • Mit seinem fünften und sechsten Antrag wendet sich der Antragsteller gegen die Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, mit der die COVID-19-Lockerungsverordnung geändert wird, BGBl. II 207/2020, sowie gegen die Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, mit der die COVID-19-Lockerungsverordnung geändert wird (2. COVID-19-LV-Novelle), BGBl. II 231/2020, und begehrt die Aufhebung näher bezeichneter Ziffern, vereinzelt auch nur näher bezeichneter Wortfolgen in einzelnen Ziffern, dieser Novellierungsverordnungen als verfassungswidrig.
  • Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist die Anfechtung einer Novellierungsanordnung nur dann zulässig, wenn eine Bestimmung durch die betreffende Novelle aufgehoben worden ist und sich das Beden-

ken gegen diese Aufhebung richtet, die Gesetzes- oder Verfassungswidrigkeit also auf keinem anderen Wege beseitigt werden kann (vgl. zB VfSlg. 19.658/2012 und 20.213/2017 sowie zuletzt VfGH 12.6.2019, G 34/2019 ua.; 13.12.2019, G 67/2019 ua.).

  • Da die mit dem fünften und sechsten Antrag angefochtenen Ziffern (teilweise auch nur Textfolgen in Ziffern) der Verordnungen BGBl. II 207/2020 und BGBl. II 231/2020 lediglich Novellierungsanordnungen enthalten, die sich nicht bloß in der Aufhebung bestehender Bestimmungen erschöpfen, sind diese Anträge – schon aus diesem Grund – als unzulässig zurückzuweisen.
  • Zur COVID-19-Lockerungsverordnung in der Stammfassung BGBl. II 197/2020
  • Mit seinem vierten Antrag wendet sich der Antragsteller gegen § 1 Abs. 2 und 3, § 2 Abs. 1 Z 2, § 2 Abs. 3, § 6, § 8, § 9 und § 10 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Lockerungen der Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 ergriffen wurden, BGBl. II Nr. 197/2020, und begehrt deren Aufhebung als verfassungswidrig. Der Antrag bezieht sich demnach auf die Stammfassung der COVID-19-Lockerungsverordnung.
  • Wie bereits vorhin festgehalten, ergibt sich aus dem Wortlaut des Art. 139 Abs. 1 Z 3 B-VG (“verletzt zu sein behauptet”), dass angefochtene Verordnungsbestimmungen zum Zeitpunkt der Antragstellung tatsächlich unmittelbar in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreifen müssen (siehe zuletzt VfGH 14.7.2020, V 411/2020, und VfGH 14.7.2020, V 363/2020, mwN der Rechtsprechung).
  • 2 Abs. 1 Z 2, § 2 Abs. 3, § 6, § 8, § 9 und § 10 der COVID-19-Lockerungs- verordnung in der angefochtenen Stammfassung BGBl. II Nr. 197/2020 gehörten infolge von Novellierungen im Zeitpunkt der Antragstellung (10. Juni 2020) nicht mehr dem geltenden Rechtsbestand an: § 2 Abs. 1 Z 2 COVID-19-Lockerungs- verordnung wurde mit Z 1 der 4. COVID-19-LV-Novelle, BGBl. II 246/2020, mit Wirkung vom 30. Mai 2020 die Einschränkung angefügt: “Dies gilt nicht im Freien.” § 2 Abs. 3 COVID-19-Lockerungsverordnung wurde mit Z 1 BGBl. II 207/2020 mit Wirkung vom 15. Mai 2020 neu gefasst. § 6 COVID-19-Lockerungs-
    verordnung wurde mit Z 6 BGBl. II 207/2020 mit Wirkung vom 15. Mai 2020 neu gefasst. § 8 COVID-19-Lockerungsverordnung wurde mit Z 11 BGBl. II 207/2020 mit Wirkung vom 15. Mai 2020 neu gefasst. § 9 COVID-19-Lockerungsverordnung wurde durch die Z 12 bis Z 17 BGBl. II 207/2020 mit Wirkung vom 15. Mai 2020 novelliert und mit Z 14 der 2. COVID-19-LV-Novelle mit Wirkung vom 29. Mai 2020 neu gefasst. § 10 COVID-19-Lockerungsverordnung wurde durch die Z 18 bis 24 BGBl. II 207/2020 mit Wirkung vom 15. Mai 2020 novelliert und mit Z 15 der 2. COVID-19-LV-Novelle, BGBl. II 231/2020, mit Wirkung vom 29. Mai 2020 neu gefasst. Die Anfechtung dieser Bestimmungen der COVID-19-Lockerungs- verordnung in der Stammfassung erweist sich daher – schon aus diesem Grund – als unzulässig und ist daher zurückzuweisen, zumal der Antragsteller auch nicht das Vorliegen einer besonderen Konstellation dargelegt hat, in der die Zulässigkeit ihrer Anfechtung im Interesse des Rechtsschutzes dennoch geboten wäre.
  • Hingegen stand der weiterhin angefochtene § 1 Abs. 2 und 3 COVID-19-Lockerungsverordnung in der Stammfassung im Zeitpunkt der Antragstellung noch in Geltung (§ 1 Abs. 2 COVID-19-Lockerungsverordnung in der Stammfassung wurde erst mit Z 2 der 5. COVID-19-LV-Novelle, BGBl. II 266/2020, mit Wirkung vom 15. Juni 2020 aufgehoben. § 1 Abs. 3 COVID-19-Lockerungsverordnung in der Stammfassung erhielt mit Z 1 der
  1. COVID-19-LV-Novelle, BGBl. II 287/2020, mit Wirkung vom 1. Juli 2020 die Absatzbezeichnung “(2)” und gehört – nunmehr als § 1 unter der Überschrift “Massenbeförderungsmittel” [vgl. Z 1 bis Z 3 der 9. COVID-19-LV-Novelle, BGBl. II 342/2020] – weiter dem Rechtsbestand an).
  • Gemäß § 1 Abs. 2 COVID-19-Lockerungsverordnung war im Zeitpunkt der Antragstellung beim Betreten öffentlicher Orte in geschlossenen Räumen gegenüber Personen, die nicht im gemeinsamen Haushalt leben, ein Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten und eine den Mund- und Nasenbereich abdeckende mechanische Schutzvorrichtung zu tragen. Eine ähnliche Regelung enthielt § 1 Abs. 3 COVID-19-Lockerungsverordnung in der im Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Fassung für “Massenbeförderungsmittel”.
  • Nach § 57 Abs. 1 VfGG muss der Antrag, eine Verordnung zur Gänze oder in Teilen als gesetzwidrig aufzuheben, die Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit

der angefochtenen Bestimmungen der Verordnung “im Einzelnen” darlegen und dartun, inwieweit alle angefochtenen Verordnungsregelungen unmittelbar und aktuell in die Rechtssphäre des Antragstellers eingreifen. Bei der Prüfung der aktuellen Betroffenheit hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu untersuchen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art. 139 Abs. 1 Z 3 B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl. zB VfSlg. 10.353/1985, 14.277/1995,     15.306/1998,    16.890/2003,     18.357/2008,    19.919/2014,

19.971/2015). Anträge, die dem Erfordernis des § 57 Abs. 1 VfGG nicht entsprechen, sind nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (vgl. VfSlg. 14.320/1995, 14.526/1996, 15.977/2000, 18.235/2007) nicht im Sinne von § 18 VfGG verbesserungsfähig, sondern als unzulässig zurückzuweisen (vgl. etwa VfSlg. 12.797/1991, 13.717/1994, 17.111/2004, 18.187/2007, 19.505/2011, 19.721/2012).

  • Der Antragsteller hat zu seiner Antragslegitimation, konkret zu seiner “aktuelle[n] und unmittelbare[n] Betroffenheit”, Ausführungen u.a. zur Kindergartensituation seiner Tochter, zu seiner “[p]ersönliche[n]/berufliche[n] Mobilität” (allerdings nur bezogen auf die COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 und die COVID-19-Maßnahmenverordnung-98), zu seinen “[b]erufliche[n] Umsatzeinbuße[n]”, zu seiner “[f]rustrierte[n] Erholungs-/Urlaubsplanung”, zur “[m]assive[n] Einschränkung der sportlichen Betätigung”, zur “Religionsfreiheit” und zur “Freizeitgestaltung” gemacht (siehe das Vorbringen im Wortlaut oben
  • ). Der Antragsteller hat jedoch an keiner Stelle vorgebracht, im Antragszeitraum – verkehrende – Massenbeförderungsmittel zu benutzen oder zu benutzen zu beabsichtigen. Der Antrag auf Aufhebung von § 1 Abs. 3 COVID-19-Lockerungsverordnung betreffend Abstandspflicht und MundNasenschutzpflicht in “Massenbeförderungsmitteln” ist daher mangels konkreter Darlegung seiner unmittelbaren Betroffenheit unzulässig.

Unter dem Titel “Persönliche Freiheit der Selbstbestimmung” führt der Antragsteller aus, auf Grund “der behördlich auferlegten Pflicht in öffentlich zugänglichen Gebäuden (zB beim Einkaufen, bei Gericht, Behörden etc.) Nasen-Mund- Schutz-Masken tragen zu müssen”, werde die “persönliche Freiheit des Beschwerdeführers, sich kleiden zu wollen und selbst bestimmen zu können, was er tragen und nicht tragen möchte, immens eingeschränkt”.

 

Damit hat der Antragsteller, der insbesondere auch dargelegt hat, Rechtsanwalt zu sein und u.a. – wenn auch in erheblich vermindertem Maß – Gerichtsgebäude betreten zu müssen, noch hinreichend konkret dargetan, durch die Verpflichtung zum Tragen einer den Mund- und Nasenbereich abdeckenden mechanischen Schutzvorrichtung beim Betreten öffentlicher Orte in geschlossenen Räumen nach § 1 Abs. 2 COVID-19-Lockerungsverordnung in seiner Rechtssphäre betroffen zu sein.

Entgegen der Auffassung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz ist in einer Konstellation wie der vorliegenden der Antrag auch nicht deswegen mangels aktueller Betroffenheit unzulässig, weil die angefochtene Bestimmung des § 1 Abs. 2 COVID-19-Lockerungsverordnung in der Stammfassung im Zeitpunkt der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes bereits außer Kraft getreten ist (vgl. VfGH 14.7.2020, V 363/2020, und VfGH 14.7.2020, V 411/2020, mit näherer Begründung).

Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag auf Aufhebung von § 1 Abs. 2 COVID-19-Lockerungsverordnung in der Stammfassung BGBl. II 197/2020 als zulässig, soweit er sich auf die Verpflichtung zum Tragen einer den Mund- und Nasenbereich abdeckenden mechanischen Schutzvorrichtung bezieht.

  • Zum COVID-19-Maßnahmengesetz
    • Mit seinem ersten Antrag begehrt der Antragsteller ferner, das COVID-19-Maßnahmengesetz, BGBl. I 12/2020, seinem gesamten Inhalt nach als verfassungswidrig aufzuheben, und regt – in eventu – eine amtswegige Prüfung dieses Gesetzes durch den Verfassungsgerichtshof an.
    • Dieser auf die Stammfassung des COVID-19-Maßnahmengesetzes bezogene Antrag ist schon deshalb unzulässig und daher zurückzuweisen, weil das COVID-19-Maßnahmengesetz im Zeitpunkt der Antragstellung nicht mehr in der Stammfassung, sondern in der Fassung der Novellen BGBl. I 16/2020 und BGBl. I 23/2020 in Geltung stand.
  1. In der Sache
    • Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten 44 Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art. 139

B-VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl.

VfSlg. 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg. 15.644/1999, 17.222/2004).

  • Vorweg ist festzuhalten, dass sich der Verfassungsgerichtshof – ungeachtet 45 der Anregung des Antragstellers – nicht veranlasst sieht, aus Anlass der Behandlung des vorliegenden Antrags von Amts wegen eine Verfahren zur Prüfung der präjudiziellen §§ 1 und 2 COVID-19-Maßnahmengesetz einzuleiten (siehe zur Verfassungskonformität dieser Bestimmungen VfGH 14.7.2020, V 363/2020, und VfGH 14.7.2020, V 411/2020).
  • Der Antrag auf Aufhebung von § 1 Abs. 2 COVID-19-Lockerungsverodnung in 46 der Stammfassung BGBl. II 197/2020 ist jedoch begründet:
  • Der Antragsteller bringt auf das Wesentliche zusammengefasst vor, die 47 durch § 1 Abs. 2 COVID-19-Lockerungsverordnung angeordnete Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasenschutzes greife in zahlreiche Grundrechte ein. Es fehle

aber eine gesicherte medizinisch-wissenschaftliche Basis, die zeige, dass COVID- 19 tatsächlich eine Krankheit von “bisher nicht gekannte[r] Gefährlichkeit” sei.

Die “Anlassgesetzgebung” und die darauf basierenden Verordnungen seien daher nicht gerechtfertigt. Die Mund-Nasenschutzmaske sei “nicht einmal im Entferntesten” geeignet, die Ausbreitung von COVID-19 “aufzuhalten”. Im “Vorfeld der Gesetz- und Verordnungserlassungen, die letztlich zum ‘Lockdown’ der gesamten österreichischen Gesellschaft und Wirtschaft geführt haben”, sei eine wissenschaftliche Diskussion geführt worden, bei der es “weitaus gewichtigere und überzeugendere Argumente gegeben hat, die gegen die Erlassung der angefochtenen Normen gesprochen haben”. Das vorhandene Nichtwissen zu COVID-19 hätte die “näher aufzuzeigenden Grundrechtseingriffe durch das COVID-19-Maßnahmengesetz und der darauf basierenden VO-Erlassungen daher nicht im Entferntesten” gerechtfertigt.

  • Damit macht der Antragsteller geltend, dass die Voraussetzungen der Verordnungserlassung nach den §§ 1 und 2 COVID-19-Maßnahmengesetz nicht vorlägen bzw. dass deren Vorliegen von der verordnungserlassenden Behörde nicht gehörig geprüft worden sei.
  • 1 Abs. 2 COVID-19-Lockerungsverordnung in der Stammfassung hatte seine Rechtsgrundlage in § 2 COVID-19-Maßnahmengesetz. § 2 COVID-19- Maßnahmengesetz ermächtigt den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz beim Auftreten von COVID-19 dazu, durch Verordnung “das Betreten von bestimmten Orten” zu untersagen, “soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist.” In der Verordnung kann auch geregelt werden, “unter welchen bestimmten Voraussetzungen oder Auflagen jene bestimmten Orte betreten werden dürfen.”

Diese Verordnungsermächtigung determiniert den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz als verordnungserlassende Behörde in mehrfacher Hinsicht (VfGH 14.7.2020, V 363/2020, und VfGH 14.7.2020, V 411/2020):

  • Das COVID-19-Maßnahmengesetz ist eine Reaktion des Gesetzgebers auf eine krisenhafte Situation durch das Auftreten des Coronavirus SARS-CoV-2 und die dadurch ausgelöste Coronavirus-Krankheit COVID-19. Die Ermächtigung zur Erlassung von Geboten zum Tragen eines Mund-Nasenschutzes nach § 2 COVID- 19-Maßnahmengesetz (“Voraussetzungen oder Auflagen”) hat – gemeinsam mit einer Reihe weiterer staatlicher Maßnahmen in unterschiedlichen Rechtsformen und auf unterschiedlichen Ebenen – den Gesundheitsschutz durch Schutz der Funktionsfähigkeit der Gesundheitsinfrastruktur zum Ziel.

Krisenhafte Situationen wie die vorliegende sind dadurch gekennzeichnet, dass staatliche Maßnahmen zur Bekämpfung von Ursache, Auswirkungen und Verbreitung der Krankheit unter erheblichem Zeitdruck und insofern unter Unsicherheitsbedingungen getroffen werden müssen, als Wissen darüber zu einem großen Teil erst nach und nach gewonnen werden kann und Auswirkungen wie Verbreitung von COVID-19 notwendig einer Prognose unterliegen.

Auch in solchen Situationen leitet, wie sonst, die Bundesverfassung Gesetzgebung und Verwaltung bei Maßnahmen zu ihrer Bewältigung insbesondere durch das Legalitätsprinzip des Art. 18 B-VG sowie die durch ein System verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte gebildete Grundrechtsordnung. Das Legalitätsprinzip stellt Anforderungen an die gesetzliche Bindung der Verwaltung bei ihren Maßnahmen zur Krisenbekämpfung. Die Grundrechtsordnung gewährleistet, dass in den notwendigen Abwägungsprozessen mit öffentlichen Interessen die in einer liberalen Verfassungsordnung wesentlichen Interessen des Einzelnen berücksichtigt und die beteiligten Interessen angemessen ausgeglichen werden, auch wenn, wie in der vorliegenden Situation, die öffentlichen Interessen auf grundrechtlich geschützten Interessen basieren, die den Staat auch zum Handeln verpflichten.

  • Nach Art. 18 Abs. 2 B-VG kann der Gesetzgeber dem Verordnungsgeber Abwägungs- und Prognosespielräume einräumen und, solange die wesentlichen Zielsetzungen, die das Verwaltungshandeln leiten sollen, der Verordnungsermächtigung in ihrem Gesamtzusammenhang mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen sind, die situationsbezogene Konkretisierung des Gesetzes dem Verordnungsgeber überlassen (vgl. VfSlg. 15.765/2000). Es kommt auf die zu regelnde Sache und den Regelungszusammenhang an, welche Deter- minierungsanforderungen die Verfassung an den Gesetzgeber stellt (VfSlg. 19.899/2014 mwN). In diesem Zusammenhang hat der Verfassungsgerichtshof auch mehrfach ausgesprochen, dass der Grundsatz der Vorherbestimmung verwaltungsbehördlichen Handelns nicht in Fällen überspannt werden darf, in denen ein rascher Zugriff und die Berücksichtigung vielfältiger örtlicher und zeitlicher Verschiedenheiten für eine sinnvolle und wirksame Regelung wesensnotwendig sind, womit auch eine zweckbezogene Determinierung des Verordnungsgebers durch unbestimmte Gesetzesbegriffe und generalklauselartige Regelungen zulässig ist (vgl. VfSlg. 17.348/2004 mwN). Dabei hat der Verfassungsgerichtshof auch darauf hingewiesen, dass in einschlägigen Konstellationen der Normzweck auch gebieten kann, dass eine zum Zeitpunkt ihrer Erlassung dringend erforderliche – unter Umständen unter erleichterten Voraussetzungen zustande gekommene – Maßnahme dann rechtswidrig wird und aufzuheben ist, wenn der Grund für die Erlassung fortfällt (siehe VfSlg. 15.765/2000).

Überlässt der Gesetzgeber im Hinblick auf bestimmte tatsächliche Entwicklungen dem Verordnungsgeber die Entscheidung, welche aus einer Reihe möglicher, unterschiedlich weit gehender, aber jeweils Grundrechte auch intensiv einschränkender Maßnahmen er seiner Prognose zufolge und in Abwägung der betroffenen Interessen für erforderlich hält, hat der Verordnungsgeber seine Entscheidung auf dem in der konkreten Situation zeitlich und sachlich möglichen (vgl. VfSlg. 15.765/2000) und zumutbaren Informationsstand über die relevanten Umstände, auf die das Gesetz maßgeblich abstellt, und nach Durchführung der gebotenen Interessenabwägung zu treffen. Dabei muss er diese Umstände ermitteln und dies im Verordnungserlassungsverfahren entsprechend festhalten, um eine Überprüfung der Gesetzmäßigkeit der Verordnung zu gewährleisten (darauf hat der Verfassungsgerichtshof bereits in mehrfachem Zusammenhang abgestellt, vgl. VfSlg. 11.972/1989, 17.161/2004, 20.095/2016). Determiniert das Gesetz die Verordnung inhaltlich nicht so, dass der Verordnungsinhalt im Wesentlichen aus dem Gesetz folgt, sondern öffnet er die Spielräume für die Verwaltung so weit, dass ganz unterschiedliche Verordnungsinhalte aus dem Gesetz folgen können, muss der Verordnungsgeber die nach dem Gesetz maßgeblichen Umstände entsprechend ermitteln und dies im Verordnungserlassungsverfahren auch nachvollziehbar festhalten, sodass nachgeprüft werden kann, ob die konkrete Verordnungsregelung dem Gesetz in der konkreten Situation entspricht (das ist der Kern der Judikatur, derzufolge das Gesetz in einem Ausmaß bestimmt sein muss, “daß jeglicher Vollziehungsakt am Gesetz auf seine Rechtmäßigkeit hin gemessen werden kann”, siehe zB VfSlg. 12.133/1989). Insofern unterscheiden sich demokratische Gesetzgebung und generell abstrakte Rechtssetzung durch die Verwaltung im Wege von Verordnungen nach Art. 18 Abs. 2 B-VG. Die Determinierungswirkungen und damit die rechtsstaatliche und demokratische Bestimmung des Verordnungsgebers durch Art. 18 Abs. 2 B-VG zielen auf eine entsprechende Bindung bei der konkreten Verordnungserlassung ab.

  • Mit § 2 COVID-19-Maßnahmengesetz überträgt der Gesetzgeber der verordnungserlassenden Behörde einen Einschätzungs- und Prognosespielraum, ob und wieweit sie zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 auch erhebliche Grundrechtsbeschränkungen für erforderlich hält, womit der Verordnungsgeber seine Entscheidung als Ergebnis einer Abwägung mit den einschlägigen grundrechtlich geschützten Interessen der betroffenen Personen zu treffen hat. Der Verordnungsgeber muss also in Ansehung des Standes und der Ausbreitung

von COVID-19 notwendig prognosehaft beurteilen, inwieweit in Aussicht genommene Maßnahmen wie die Verpflichtung zum Tragen einer den Mund- und Nasenbereich abdeckenden mechanischen Schutzvorrichtung zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 geeignete (der Zielerreichung dienliche) erforderliche (gegenläufige Interessen weniger beschränkend und zugleich weniger effektiv nicht mögliche) und insgesamt angemessene (nicht hinnehmbare Grundrechtseinschränkungen ausschließende) Maßnahmen darstellen.

Der Einschätzungs- und Prognosespielraum des Verordnungsgebers umfasst insoweit auch die zeitliche Dimension dahingehend, dass ein schrittweises, nicht vollständig abschätzbare Auswirkungen beobachtendes und entsprechend wiederum durch neue Maßnahmen reagierendes Vorgehen von der gesetzlichen Ermächtigung des § 2 COVID-19-Maßnahmengesetz vorgesehen und auch gefordert ist.

Angesichts der damit inhaltlich weitreichenden Ermächtigung des Verordnungsgebers verpflichtet § 2 COVID-19-Maßnahmengesetz vor dem Hintergrund des Art. 18 Abs. 2 B-VG den Verordnungsgeber im einschlägigen Zusammenhang auch, die Wahrnehmung seines Entscheidungsspielraums im Lichte der gesetzlichen Zielsetzungen insoweit nachvollziehbar zu machen, als er im Verordnungserlassungsverfahren festhält, auf welcher Informationsbasis über die nach dem Gesetz maßgeblichen Umstände die Verordnungsentscheidung fußt und die gesetzlich vorgegebene Abwägungsentscheidung erfolgt ist. Die diesbezüglichen Anforderungen dürfen naturgemäß nicht überspannt werden, sie bestimmen sich maßgeblich danach, was in der konkreten Situation möglich und zumutbar ist. Auch in diesem Zusammenhang kommt dem Zeitfaktor entsprechende Bedeutung zu.

All dies hat der Verfassungsgerichtshof bei seiner Prüfung, ob der Bundesminister den gesetzlichen Vorgaben bei Erlassung der angefochtenen Bestimmung des § 1 Abs. 2 COVID-19-Lockerungsverordnung in der Stammfassung entsprochen hat, zu berücksichtigen. Damit ist für die Beurteilung des Verfassungsgerichtshofes insoweit der Zeitpunkt der Erlassung der entsprechenden Verordnungsbestimmungen und die diesen zugrunde liegende aktenmäßige Dokumentation maßgeblich.

Dass es damit dafür, ob die angefochtene Verordnungsbestimmung mit den Zielsetzungen des § 2 COVID-19-Maßnahmengesetz im Einklang stehen, auch auf die Einhaltung bestimmter Anforderungen der aktenmäßigen Dokumentation im Verfahren der Verordnungserlassung ankommt, ist kein Selbstzweck. Auch in Situationen, die deswegen krisenhaft sind, weil für ihre Bewältigung entsprechende Routinen fehlen, und in denen der Verwaltung zur Abwehr der Gefahr gesetzlich erhebliche Spielräume eingeräumt sind, kommt solchen Anforderungen eine wichtige, die Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandelns sichernde Funktion zu.

  • Als Grundlagen für die Erlassung (u.a.) der angefochtenen Bestimmungen der COVID-19-Lockerungsverordnung finden sich in den – vom Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz in den zu den Zahlen V 350-354/2020 (G 181/2020) geführten Verordnungsprüfungsverfahren vorgelegten und ausdrücklich auch für das vorliegende Verfahren für maßgeblich erklärten – Verordnungsakten nachstehende Unterlagen und Angaben:

In dem vom Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz vorgelegten Verwaltungsakt, der der Erlassung der (Stammfassung der) COVID-19-Lockerungsverordnung, BGBl. II 197/2020, zugrunde liegt, wird unter der Rubrik “Sachverhalt” ausgeführt: “Inliegend der Entwurf der LockerungsVO, welche die VO 96/2020 idgF und 98/2020 idgF ablöst. Es sind darin die ab 1. Mai gelten Regelungen hinsichtlich der Maßnahmen in Betriebsstätten, bei Veranstaltungen, in Massenbeförderungsmitteln, etc. geregelt. Die inliegende VO wäre nunmehr durch HBM zu unterfertigen und der Kundmachung zuzuleiten”. Darüber hinaus finden sich in diesem Verwaltungsakt keine weiteren, im Hinblick auf die gesetzliche Grundlage des § 2 COVID-19-Maßnahmengesetz relevanten Ausführungen oder Unterlagen, sondern lediglich zwei Entwürfe (vom 28. April 2020, 22.00 Uhr, und vom 30. April 2020, 17.00 Uhr), eine “finale Version” (ebenfalls vom 30. April 2020) sowie die vom Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz unterfertigte Verordnung, jeweils ohne Anmerkungen.

  • Damit genügt die angefochtene Bestimmung des § 1 Abs. 2 COVID-19-Lockerungsverordnung in der Stammfassung den Vorgaben des § 2 COVID-19-Maßnahmengesetz schon aus diesem Grund nicht.

Die Entscheidungsgrundlagen, die im Verordnungsakt zur COVID-19-Lockerungs- 64 verordnung in der Stammfassung BGBl. II 197/2020 dokumentiert sind, beschränken sich auf eine Absichtserklärung, die bloß im Groben umrissene Verordnung erlassen zu wollen. Es ist aus dem Verordnungsakt nicht ersichtlich, welche Umstände im Hinblick auf welche möglichen Entwicklungen von COVID- 19 den Verordnungsgeber bei seiner Entscheidung zu einer (Beibehaltung der) Verpflichtung zum Tragen einer den Mund- und Nasenbereich abdeckenden mechanischen                                     Schutzvorrichtung beim Betreten öffentlicher   Orte    in

geschlossenen Räumen geleitet haben.

  • 1 Abs. 2 COVID-19-Lockerungsverordnung in der Stammfassung BGBl. II 65 197/2020 verstößt somit gegen § 2 COVID-19-Maßnahmengesetz, weil es der Verordnungsgeber gänzlich unterlassen hat, jene Umstände, die ihn bei der Verordnungserlassung bestimmt haben, so festzuhalten, dass entsprechend nachvollziehbar ist, warum der Verordnungsgeber die mit dieser Regelung getroffenen Maßnahmen für erforderlich gehalten hat. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich eine weitere Prüfung, ob die angefochtene Bestimmung auch aus anderen Gründen gesetz- oder verfassungswidrig ist.
  • Da § 1 2 COVID-19-Lockerungsverordnung durch   Z 2    der       66
  1. COVID-19-LV-Novelle, BGBl. II 266/2020, mit Wirkung vom 15. Juni 2020

aufgehoben wurde, ist daher festzustellen, dass die Wortfolge “und eine den Mund- und Nasenbereich abdeckende mechanische Schutzvorrichtung zu tragen” in § 1 Abs. 2 COVID-19-Lockerungsverordnung in der Stammfassung BGBl. II 197/2020 gesetzwidrig war.

  1. Ergebnis
  2. § 1 Abs. 2 COVID-19-Lockerungsverordnung ist durch Z 2    der       67
  3. COVID-19-LV-Novelle, BGBl. II 266/2020, mit Ablauf des 14. Juni 2020 außer Kraft getreten. Der Verfassungsgerichtshof hat sich daher gemäß Art. 139 Abs. 4 B-VG auf die Feststellung zu beschränken, dass die Wortfolge “und eine den Mund- und Nasenbereich abdeckende mechanische Schutzvorrichtung zu tragen” in § 1 Abs. 2 COVID-19-Lockerungsverordnung idF BGBl. II 197/2020 gesetzwidrig war.

Im Übrigen werden die Anträge zurückgewiesen.                                                      68

  1. Der Ausspruch, dass die unter Punkt 1. genannte Wortfolge nicht mehr anzu- 69 wenden ist, stützt sich auf Art. 139 Abs. 6 zweiter Satz B-VG.
  2. Die Verpflichtung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und 70 Konsumentenschutz zur unverzüglichen Kundmachung der Aussprüche erfließt

aus Art. 139 Abs. 5 zweiter Satz B-VG iVm § 4 Abs. 1 Z 4 BGBlG.

  1. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs. 4 VfGG ohne mündliche Ver- 71 handlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
  2. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 61a VfGG. Da der Antragsteller nur 72 mit einem (geringen) Teil seines Aufhebungsbegehrens obsiegt hat, war ihm nur

ein Viertel des Pauschalsatzes zuzusprechen (vgl. VfSlg. 16.772/2002,

17.172/2004). In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 109,- sowie der Ersatz der Eingabengebühr in Höhe von € 240,- enthalten.

Wien, am 1. Oktober 2020
Der Präsident:

DDr. GRABENWARTER

Schriftführer: Dr. DORR

An den

Bundespräsident Van der Bellen

Hofburg

A – 1010 Wien

Mobile: +43 676 310 08 90 Skype: tino1901 E-Mail: info@kamierepUot24.com

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